Am Morgen lief bei mir nebenbei das ARD Morgenmagazin und die Moderatoren gaben die ganze Zeit die Koordinaten von Lufthansa Sonderflug LH 2014 durch und bemühten sich dabei, zwischen absoluter Euphorie und „Haha, wir berichten gerade über ein Flugzeug“ zu pendeln. Eigentlich schon schade, wenn man sich den Empfang nicht auch aus nächster Nähe anschaut. Andererseits dürfte die Fanmeile und alles rundherum Szenen aus „Der Superstau“ aus dem Jahre 1991 ähneln. Nur eben mit Menschen. Überall!
Als sich der Flieger gerade Paris befand, trudelte eine Mail von adidas ein. Man hätte noch einen Platz im bequemen Bereich der Fanmeile. Ha! Endlich zahlt es sich aus, dass Falsche Neun Deutschlands versiertestes und feinsinnigstes Fußballmagazin ist.
Nach einer Odyssee durch mehrere Polizeisperren stehe ich plötzlich in einem kleinen Bereich hinter dem Brandenburger Tor. Während davor 400.000 Menschen bei Laune gehalten werden und auf die Mannschaft warten, hat man hier einen Fernseher aufgebaut um zu verfolgen, wo das Team denn gerade ist. Klaus Wowereit hat sich ein, zugegebener Maßen etwas spannendes, Trikot unter sein Sakko gezogen und bekommt dafür allerhand Witze von Renate Künast zu hören während beide neben dem goldenen Buch der Stadt Berlin postiert sind. Das ist übrigens gar kein sooo besonderes Buch, sondern nur das Gästebuch der Stadt. Die Seite wird am Ende trotzdem sehr schön aussehen.
Allerhand Offizielle des DFB eilen neben wenigen C- bis F-Prominenten hin und her und mit jedem Meter dem sich der offene Mannschaftsbus nähert, wird die Stimmung angespannter. Gleich werden sich hier die Weltmeister tummeln und über eine Metalltreppe Marke Autoscooter auf die Bühne vorm Brandenburger Tor stürmen.
Als man auf dem Fernseher sieht, wie der Bus vor der letzten Kurve ist hört man schon von weitem, wie es immer laut ist. Hat was, wenn man mal von überall so viel Freude auf den Straßen hört. Als dann der Bus auf „Unter den Linden“ abbiegt, kann man zwar die Spieler noch nicht erkennen, der Pokal leuchtet aber schon von weitem. Ist das wirklich wahr? Weltmeister?
Als der Bus vorm Bauzaun hält und die Securities die Spieler in den Backstage Bereich zum Gästebuch der Stadt lotsen, wird relativ schnell klar, dass keiner der Spieler die Sonnenbrille wegen der Sonne trägt. Sagen wir mal wegen der ähhh … langen Flugeskapaden, die bei einigen auch grundlegende motorische Fähigkeiten schwierig zu machen scheint. Per Mertesacker jedenfalls scheint in seiner Eistonne nicht nur Eis gehabt zu haben.
Während alle sich langsam aufreihen, um Herrn Wowereit die Hand zu schütteln und den Namen in das Gästebuch zu setzen, stürmt Shkrodan Mustafi nach vorne, während alle anderen noch ein kurzes Gruppenfoto machen. „Mach allein, Musti!“ rufen alle und es ist ein wenig sinnbildlich für diese Chemie, im Team die man sofort spürt. Gut, wahrscheinlich wäre in jedem Team ein hervorragender Teamgeist, wenn man zuvor zwei Stunden mit dem WM-Pokal durch Berlin mit zehntausenden an der Straße gefahren ist.
Bei näherer Beobachtung merkt man aber, welche Rollen so einige im Team haben. Es gibt zum Beispiel die ruhigen, überlegten wie Philipp Lahm, Miroslav Klose, Mats Hummels oder Toni Kroos, der sich bereits Real Madrid Witze gefallen lassen durfte. Dann gibt es die emotionalen Leader hinter den Kulissen wie Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller, Manuel Neuer oder Per Mertesacker, die die ganze Zeit umher schwirren und immer einen Spruch auf den Lippen haben. Allen voran natürlich auch Lukas Podolski der gefühlt zehn Energy Drinks intus hat und in Kevin Großkreutz den perfekten Kumpanen gefunden hat, nicht zuletzt weil beide brennende Anhänger des 1. FC Kölns sind.
Dann gibt es da noch die ruhige, stylische Fraktion die eine Mischung aus Fashion Week und P1-Gästeliste sind: Sami Khedira, Jerome Boateng, Mario Götze oder Mesut Özil. Am schönsten allerdings ist es natürlich die Gesichter derer zu sehen, die am wenigsten von allen damit rechneten, am 15. Juli am Brandenburger Tor zu stehen: Shkrodan Mustafi und Christoph Kramer wird man grob geschätzt die nächsten 4 Jahre nicht mehr ohne breites Grinsen im Gesicht zu sehen bekommen.
Bevor sie in Campo-Bahia-WG-Grüppchen auf die Bühne gehen, bekommen alle Spieler einen kleinen brazuca in die Hand gedrückt. Ein sehr amüsantes Bild, wenn man über 20 wartenden frisch gekrönten, wartenden Fußballweltmeistern einen kleinen Fußball in die Hand drückt. Still halten konnte da keiner so recht. Ausser vielleicht Per Mertesacker. Aber aus anderen Gründen. Hustensaft oder so.
Die Geräuschkulisse ist natürlich auch hinter dem Brandenburger Tor Wahnsinn. Was muss das für ein Gefühl sein, da jetzt raus zu gehen? Nach einer Stunde voller Tanzeinladungen und Lobpreisungen darf Helene Fischer noch mal ran. Sie ist übrigens kaum größer als 1,40m und mir ist es nach wie vor unverständlich, warum in Sachen Fußball Deutschland Weltspitze ist, in der Musik dazu aber alles andere als das. Für den adidas WM-Spot „The Dream“ zum Beispiel gab es einen exklusiven Soundtrack von Kanye West. Das wäre doch mal was gewesen. Aber zu „Stronger“ kann man ja nicht so gut mitgröhlen, ok ok.
Als die Party auf der Bühne vorbei ist, eilen die Spieler zurück. Zwei Busse stehen bereits bereit, welche Spieler und Betreuer direkt zurück zum Flughafen und damit in den wohlverdienten Urlaub bringen. Bundesliga Präsident Reinhard Rauball schüttelt allen Spielern noch einmal fleißig die Hände und wünscht einen schönen Urlaub. Das Grinsen in seinem Gesicht ist verständlich. Am 22. August geht es wieder los und dann ist er Präsident der Liga mit den meisten Weltmeistern. Hat was.
Bevor die Spieler in den Bus einsteigen, gibt es noch ein paar High Fives und auf einmal habe ich eine Hand am Pokal. Was für ein denkwürdiger, geschichtsträchtiger Tag, der mit Flugkoordinaten vorm Fernseher beim Morgenmagazin anfing und dann zu einem Tag wurde, dem man Enkeln noch erzählen würde. Von damals, 2014 als die deutsche Nationalmannschaft Weltmeister wurde, denn da hatte man schließlich noch Typen im Team.
Alle Fotos wurden mit einer Samsung Galaxy NX gemacht.