Das Plusquamperfekt von Schnürsenkeln


Auf den mittlerweile 10 Jahre alten Mannschaftsfotos der WM 2006 erkennt man erste Versuche, dass auch Spieler außer Giovanne Elber weiße Fußballschuhe tragen. Es gab sogar ein paar mehr zaghafte, farbliche Ausflüge, auch wenn goldene Schuhe (natürlich!) einzig und allein Zinedine Zidane vorenthalten blieben.

Seit etwa fünf Jahren hat man mit Blick auf Fußballschuhe nun schon fast das Gefühl, die Häufigkeit neuer Modelle, Farbgebungen und Signature-Schuhe potenziert sich monatlich. In der Bundesliga spielt aktuell kein Spieler in schwarzen Schuhen und – eigentlich kaum vorstellbar – aber Leo Messi hat pro Jahr mehr verschiedene Schuhmodelle als Titel. Ist zwischen derart viel Streben nach Aufmerksamkeit und Marketing-Gewitter überhaupt noch Platz für wirkliche Neuerungen? Die beruhigende Nachricht ist: Ja.

Vergangene Woche lud adidas in die Zentrale nach Herzogenaurach um die neueste Errungenschaft in Sachen Fußballschuhen zu präsentieren – Den ACE 16.1 Purecontrol. Was klingt wie ein Transformer ist in Wirklichkeit der erste Schuh im großen Stil, der vollends ohne Schnürsenkel auskommt. Der Vorteil an so einem Besuch in Herzogenaurach ist, dass man neben der bloßen Präsentation des giftgrünen Ungeheuers auch einen umfangreichen Einblick in dessen Entstehungsphase bekam.

Über zwei Jahre dauerte die Entwicklungsphase des Schuhs, dessen grundlegende Frage es war, wie man das Material zwischen Fuß und Schuh auf möglichst smarte Art und Weise reduzieren kann, für mehr Gefühl ohne Verluste bei Stabilität und Komfort. Ganz am Anfang dabei ein Prototyp, welcher nichts weiter als eine Kombination aus einer Socke mit herkömmlicher Stollensohle war.

Es folgten weitere Prototypen, wobei einer der „Primeknit FS“ zu Zeiten der WM 2014 war. Der weltweit erste Hybrid aus Fußballschuh und -socke wurde damals veröffentlicht und sah eher aus, wie ein verrückter Schnellschuss, bevor es aus die Lager der Konkurrenz zuvorkommen würden. Schließlich hörte man weder davor, noch danach je wieder etwas über diesen wortwörtlichen Sockenschuss.

Wie sich jetzt herausstellt, war das Modell auch nie zur Markteinführung gedacht, sondern tatsächlich nur ein verrückter Prototyp auf dem Weg zum jetzigen ACE 16.1 Purecontrol.

Die ersten Gedanken zum vollendeten Schuh sind nun unweigerlich: Hat der Fuß darin überhaupt Halt? Passt der Schuh meinen dicken Füßen genauso gut, wie den schmalen Knochen meines Bruders? Sind „gestrickte“ Schuhe nach zwei Minuten Nässe nicht komplett hinfällig? Alles Fragen, die auch ich hatte, bevor ich die Schuhe zum ersten Mal trug. Das mag jetzt klingen wie die Eröffnungsthese einer Infomercial-Sendung um 3 Uhr nachts auf Super RTL, aber diese Schuhe sind der Wahnsinn! Da sich meine spielerischen Fähigkeiten auf die eines Känguruhs nach einer Portion Wick MediNait beschränken, kann ich keinen Härtetest abliefern (das sollen dann Andere machen), aber der erste Eindruck ist wirklich besonders. Der Schuh ist komplett aus Primeknit und sorgt mit einer Art zweitem Innenschuh dafür, dass er sich sofort individuell an jede Fußform anpasst. Selbst an meine übergroßen Toastbrotfüße! Man hat nie das Gefühl, man müsse nachjustieren und es stattdessen direkt so als hätte man eine stabile Socke angezogen, die dank ihrer dünnen Beschichtung auch keinerlei Probleme mit Nässe hat. Wie sich Primeknit nach regelmäßiger Benutzung schlägt ist natürlich noch offen, der erste Eindruck ist aber superb. Adidas will damit übrigens gar nicht Schnürsenkel für immer verschwinden lassen, sondern lediglich Spielern, welche sich durch Doppelknoten und dergleichen genervt fühlen, neue Möglichkeiten bieten. Mesut Özil war dabei übrigens eine der treibenden Kräfte und ist vom Ergebnis sichtlich erfreut.

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So unterhaltsam wie der Clip ist, so ist er zugleich übrigens mein einziger großer Kritikpunkt am ACE 16.1 Purecontrol und seiner Umwelt. Mit „Boss everyone“ geht es darum, mit leuchtgrünen Zauberfüßen, möglichst auffällig im eigenen Team zu sein und den Gegner zu düpieren. Oder übertrieben gesagt: Lieber den Ball verlieren beim Versuch den Gegner zu tunneln, als mit einem sicheren Pass eine Torchance zu kreieren. Es ist dabei ganz interessant zu sehen, wie sämtlichen YouTube-Kids zwischen lauter Tricks und Challenges die Schönheit des Teamsports Fußball irgendwie verloren geht.

Nun ja, jeder wie er mag. Die gute Nachricht ist jedenfalls, dass es für alle Fußballer, deren Geburt vor 1990 liegt, auch eine Variante in schwarz gibt! Gut ohne ein bisschen Glitzer geht es auch da nicht, aber immerhin.


PS: Das Verrückteste in Herzogenaurach ist übrigens ein Roboter, der absolut jeden Schuss nachahmen kann. Ich lasse mir den jetzt anmontieren um bei der EURO in Frankreich dann pünktlich zum Elfmeterschießen eingewechselt zu werden.