Die Mathematiker aus Midtjylland

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Der englische Rekordmeister mag derzeit nicht in der allerbesten Verfassung sein, dennoch ist es eine mindestens mittelgroße Überraschung, dass der dänische FC Midtjylland verdient mit 2:1 gegen Manchester United gewann. Bemerkenswerter wird die Leistung übrigens, wenn man dazu noch einmal genauer auf die Statistiken des Vereins schaut. Wegen der langen Winterpause in Dänemark ist das letzte Punktspiel bereits 2 Monate her und hat davor nur eins von 10 Spielen gewinnen können. Alles egal gegen Manchester United.

Überhaupt lohnt auch ein Blick auf die junge Historie und Herangehensweise des Vereins, welcher erst 1999 durch den Zusammenschluss der 1. Mannschaften von Herning Fremad (gegründet 1918) und Ikast FS (gegründet 1935) entstanden ist. Beide Vereine bestehen aber weiter und unterhalten ihre eigenen Jugendmannschaften. Damit wurde ein besonders in Dänemark praktiziertes Konzept fortgesetzt, das es kleineren Vereinen ermöglichen soll, sich wirtschaftlich und sportlich dauerhaft in der obersten Spielklasse zu etablieren. Das gleiche Konzept wird auch beim FC København und dem FC Nordsjælland verfolgt.

Die aktuelle Teilnahme an der Europa League ist übrigens der bislang größte Erfolg des FC Midtjylland, welcher in der vergangenen Saison erstmals die dänische Meisterschaft gewinnen konnte. Vor einiger Zeit gab es bei 11Freunde bereits einen ausführlicheren Bericht über den Club, welcher eine ähnliche Herangehensweise wie das Moneyball-Prinzip im Baseball verfolgt und sich dabei stark auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen und mathematische Auswertungen stützt. Wahnsinnig spannendes Projekt!

[…] Aber das stimmt nicht: Die Tabelle lügt! Das jedenfalls glaubt Benham. Wobei es hier nicht ums Glauben geht, denn er hat Millionen damit verdient, Spielergebnisse und Tabellen weitgehend zu ignorieren. Das Modell, auf dem seine Wetten beruhen, nimmt den Zufall im Fußball ernst. Deshalb lässt Benham die Mitarbeiter in seinem Unternehmen in Kentish Town im Norden Londons vor dem Fernseher Torchancen protokollieren: die hundertprozentigen, die guten, die halbguten. Die Mannschaft mit der besseren Chancenverteilung ist das bessere Team, das ist die Kernbotschaft.

Das hört sich logisch an, aber was ist, wenn man es auf die Praxis des Fußballs anwendet? »Unser Modell hat Borussia Dortmund zum Ende der Hinrunde als zweitbeste deutsche Mannschaft ausgewiesen und als viertbeste in Europa«, sagt Benham. Das klingt absurd, denn damals war Borussia Dortmund Vorletzter der Bundesligatabelle. Alle Welt diskutierte darüber, was beim BVB los war. Lag es an schlechten Neuverpflichtungen oder verwirrten Weltmeistern, gab es Risse im Team oder stimmte es zwischen Klopp und dem Vorstand nicht mehr?

Vor allem auch, weil es die Arbeit der Trainer und vor allem den Umgang mit ihnen stark verändern könnte:

Mit Halbzeitpfiff des Heimspiels gegen Silkeborg schaut Midtjyllands Trainer Glen Riddersholm beim Gang in die Kabine auf sein Handy. Seine Mannschaft hat gegen den Tabellenletzten verkrampft gespielt. Eine SMS aus der Firma von Benham in London bestätigt den Eindruck. Sie weist ein Chancenverhältnis aus, das zwar für Riddersholms Team spricht, aber nicht so klar, wie das Modell es anhand der Spielstärke beider Teams vorausgesagt hat. Auch in der zweiten Hälfte bleibt der Tabellenführer im schmucklosen 11 000-Zuschauer-Stadion unter seinen Möglichkeiten und würgt sich zu einem 1:0-Sieg. Die Zuschauer sind trotzdem zufrieden, der kleine Fanblock hinterm Tor feiert enthusiastisch, und der Metaller Kristian Bach Bak stimmt in der Kabine mit freiem Oberkörper Jubelgesänge an. Da hat die nächste SMS aus London dem Trainer längst mitgeteilt, dass seine Mannschaft vom Modell abgewertet worden ist.

Das klingt grausam, technologisch und kalt. Ein Computer, der einem Trainer vorrechnet, wie gut seine Mannschaft ist. Aber es ist nicht grausam, im Gegenteil! Für Riddersholm bedeutet es nämlich, dass ihm niemand einen Strick daraus drehen wird, wenn ein Stürmer kurz vor Schluss den Sieg verballert oder sein Kapitän durch einen Fehlpass in der Schlussminute die Niederlage einleitet. Benham oder Ankersen werden ihn nicht dafür opfern, kein Glück zu haben. Auf der anderen Seite wird sich Riddersholm sogar bei Siegen rechtfertigen müssen, wenn die Mannschaft unter den Erwartungen gespielt hat.

Und natürlich erst recht in Sachen Transfers:

Zur Bewertung seiner Spieler greift Riddersholm auf in London berechnete »KPIs« zurück, Key Performance Indicators. Außerdem erkunden sie gerade, von welchen Positionen aus sie am wahrscheinlichsten Tore erzielen, um die Mannschaft demnächst gezielt dorthin spielen zu lassen. Man merkt Riddersholm an, dass sich eine ganz neue Welt der Möglichkeiten auftut. Vor allem bei der Verpflichtung von Spielern.

Als Midtjylland im vergangenen Sommer Tim Sparv von der SpVgg Greuther Fürth kaufte, fand der Finne bald heraus, dass er den Klub nicht wechselte, weil sein Berater im richtigen Moment den passenden Anruf gemacht hatte oder ein Scout ihn an einem guten Tag gesehen hatte. Sparv war der erste Spieler, dessen Wechsel von Benhams Modell durchgewinkt worden war. Dieses stellt auch ein internationales Vereinsranking auf, das die Spielstärke eines deutschen Zweitligisten mit einem dänischen Erstligisten oder Klub aus der Premier League vergleicht. Die Fürther waren dabei in der letzten Saison höher als einige Klubs aus dem unteren Drittel der Premier League bewertet worden.

Sparv spielte gestern gegen Manchester United übrigens als Mannschaftskapitän. Den gesamten Artikel dazu gibt es hier und jetzt darf in Midtjylland erstmal weitergefeiert werden.

MATCH | FC Midtjylland 2 – 1 Manchester UnitedLet's dance ;o)

Posted by FC Midtjylland on Thursday, 18 February 2016